[NEUERSCHEINUNG:] Luftpolster von Lena-Marie Biertimpel
»meine träume kleben an meinen händen wie zuckerwatte. alles ist schwer.«

In ihrem Debütroman gibt Lena-Marie Biertimpel Einblick in eine Reihe von Verletzlichkeiten. Nach dem Selbstmordversuch ihrer Schwester sucht die Protagonistin Rückzug in der Psychiatrie. In Erinnerungen laufen ihre Kindheit und Jugend noch einmal im Kopf ab. Die Brüchigkeit im Aufwachsen, bleibende innere und äußere Konflikte werden stückweise sichtbar. Der erste Schritt diese zu überwinden wird schon am Beginn des Romans gemacht, als die Protagonistin entscheidet, sich Hilfe zu suchen, was ihr nicht sofort leicht gemacht wird. So heißt es erst einmal vom Arzt: »sie sind so eine schöne frau, sie sollten aufhören traurig zu sein.«
Die eindringliche Sprache bringt Situationen und Gefühle schmerzhaft auf den Punkt. Die Struktur des Klinikalltags bringt auch langsam wieder Struktur in das Leben der Protagonistin. Es ist ein zeitgemäßer Roman, der sich wertfrei und klischeelos mit Selbstverletzung auseinandersetzt. Gleichzeitig bietet er einen Widerspruch gegen die vorherrschenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und ein ständiges Funktionieren-müssen. Lena-Marie Biertimpel schreibt sich hier mit starker Stimme in eine Thematik ein, die unwillkürlich auch an Sylvia Plath oder Christine Lavant erinnert. Bei aller Schwere finden sich auch humorvolle Elemente im Roman: absurde Szenen in den Therapiestunden, intime Momente bei Telefongesprächen. Ein Aufatmen gibt es in Form von zarte Freundschaften, die sich nach und nach zwischen den Bewohner:innen der Psychiatrie knüpfen. In vielen Details stecken zärtliche Beschreibungen der Gemeinschaft, ein scherzhafter Ton für besonders tragische Momente und stetiger gegenseitiger Respekt. Und am Ende steht irgendwann die liberation.
Diese Rezension erschien auch in unserer Printausgabe #62, Mai 2022
Lena-Marie Biertimpel
LUFTPOLSTER
Leykam, 2022
ISBN 978–3‑7011–8232‑9
184 Seiten
€22,00

ist seit 2015 bei & Radieschen “wegen dem Schreiben und weil wegen der Kreativität und weil wegen dem Lesen. Und weil wegen dem Spannendem an dem &. Eben wegen (Kurz)weil(e).”
Foto © Mark Daniel Prohaska